Starosta/Moj: Oberschlesien emanzipiert sich

Robert Starosta / Lukas Moj: Oberschlesien emanzipiert sich – mit oder ohne die Deutschen

Robert Starosta und Lukas Moj
Oberschlesien emanzipiert sich – mit oder ohne die Deutschen
Taschenbuch im Format 21 x 21 cm, 132 Seiten mit 48 Abbildungen
ISBN: 978-3-945127-001
9,80

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Schottland, Flandern, Katalonien – überall in Europa verlangen selbstbewusste Regionen mehr Mitsprache, Autonomie und teilweise die Eigenstaatlichkeit. Am stärksten sind diese Bewegungen dort, wo kulturelle und wirtschaftliche Argumente in dieselbe Richtung weisen: Mehr Entscheidungsfreiheit in der Region und weniger Bevormundung durch ferne Zentralen. Eben das ist auch in Oberschlesien der Fall, wo deswegen eine selbstbewusst und geschickt agierende Autonomiebewegung entstanden ist.


Rund 850.000 Menschen haben sich bei der letzten polnischen Volkszählung als „Schlesier“ bezeichnet. Sie rechnen sich damit zu einer Nationalität, die es nach dem Verständnis Warschaus und auch Berlins gar nicht geben dürfte. 

In Deutschland wird diese Autonomiebewegung bislang ignoriert, obwohl Hunderttausende Deutsche aus Oberschlesien stammen, darunter Prominente wie Thomas Gottschalk, Friedrich Nowottny und Miroslav Klose. Unter der blau-gelben Fahne Oberschlesiens ist eine Bewegung entstanden, die erfolgreich an Wahlen teilnimmt und alljährlich Tausende zum „Marsch für die Autonomie“ auf die Straße bringt. Trotz ihrer Deutschfreundlichkeit wird sie von der organisierten deutschen Minderheit in der Region bisher skeptisch beäugt, die deutsche Politik ignoriert sie komplett. 

Warum ist das so? Warum kann anscheinend weder Berlin noch Warschau mit dem neuen Selbstbewusstsein Oberschlesiens etwas anfangen? Wie „tickt“ überhaupt diese Region, deren sprachliches und konfessionelles „Multikulti“ bestens zu einem bunten Europa passt, das nicht nur aus Nationalstaaten besteht? 

Auf alle diese Fragen gibt das neue Buch „Oberschlesien emanzipiert sich – mit oder ohne die Deutschen“ Antworten. Herausgeberin ist die gemeinnützige „Initiative der kulturellen Autonomie Oberschlesiens e.V.“ mit Sitz in Würzburg. Es ist der erste Titel in deutscher Sprache über die Autonomiebewegung in Schlesien. 

Rezension: „Wichtiger Schritt zur Aufklärung der bundesdeutschen Öffentlichkeit“

Die Oberschlesier sind vom Schicksal in den vergangenen Jahrhunderten kaum verwöhnt worden. Oberschlesien war nicht Subjekt der Geschichte, sondern immer nur Objekt der Begehrlichkeit mächtiger Nachbarn, die seinen Bewohnern zudem ihre fremde Identität aufzwingen wollten. Diese wurden vor die Wahl gestellt, Pole, Deutscher oder Tscheche zu sein. Nur eins durften sie nicht sein, nämlich Schlesier. Erst nach der politischen Wende und der Erweiterung der EU haben sich die Chancen für ihre Selbstbestimmung verbessert. Inzwischen fordern sie sogar öffentlich die Anerkennung als eigene Volksgruppe und kulturelle Autonomie, die ein eigenes Parlament und Verfassung sowie eigene Finanz- und Steuerhoheit einschließt. Das wird natürlich in Warschau nicht gern gesehen, und auch Deutschland verhält sich eher abweisend, wahrscheinlich aus Ignoranz oder auch Angst vor polnischen Reaktionen. In Polen ist das Thema sehr aktuell und vor allem die rechtsextremen und nationalistischen Gruppen und Parteien bekämpfen vehement die oberschlesische Autonomiebewegung. Jarosław Kaczyński von der Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) schüttet immer wieder Öl ins Feuer, indem er sie als „camouflierte“ Deutsche und damit letztlich als Verräter und Totengräber der polnischen Nation bezeichnet. Die Polen haben aufgrund ihrer Geschichte erhebliche Probleme mit dem Eigenleben ihrer Regionen und mit den verschiedenen Volksgruppen. Während der Teilungen war der Zusammenhalt der Polen oberstes Gebot, und regionale Besonderheiten wurden verdrängt. Diese Haltung ist in der Innenpolitik weiterhin virulent und wird insbesondere von den Nationalisten verfolgt, die mit wehenden Fahnen ins 18. oder 19. Jahrhundert zurückreiten wollen.

Geschichte, Probleme und Ziele der Autonomiebewegung stellt die vorliegende Dokumentation in sehr anschaulicher Form vor. Sie wurde herausgegeben von der in Würzburg ansässigen Initiative der Kulturellen Autonomie Schlesiens (IkAS) e.V.,1 die mit der nach 1990 gegründeten Schlesischen Autonomiebewegung Ruch Autonomii Śląska (RAŚ)2 in Polen und dem Silesian Autonomy Movement – United Kingdom3 zusammenarbeitet.

Schlaglichtartig werden in den folgenden Kapiteln Oberschlesien, seine Bewohner und ihre Forderungen vorgestellt: Oberschlesier in den Reihen der deutschen Minderheit, Oberschlesische Persönlichkeiten, Die Autonomiebewegung in den letzten 20 Jahren, Schlesisches Bewusstsein im historischen Abriss, Oberschlesien – eine Tragödie in fünf Akten, Wasserpolnisch – Wasserdeutsch – Wassertschechisch!, Auszug aus dem schlesischen Wörterbuch, Fazit – wie werden die Oberschlesier gesehen? und Motivation und Danksagungen.4 Ausgestattet ist die sehr informative Broschüre mit zahlreichen farbigen Abbildungen und Karten. Man sollte in Zukunft vielleicht noch das Internet berücksichtigen und Adressen und Portale hinzufügen. An einem etwas skurrilen, aber sehr vielsagenden Beispiel zeigt sich die gesamte Problematik der Oberschlesier die sie von Polen und Deutschen unterscheidet. Während polnische und deutsche Journalisten, letztere wußten es wohl nicht besser, die Erfolge der deutschen Fußballer während der Weltmeisterschaft in Südafrika zum großen Teil den Polen Klose und Podolski zuschrieben, hatte der Vater von Klose nur einen klaren Wunsch, er wollte nicht als Pole gelten (S. 106). Sein Bekenntnis zu Oberschlesien paßt natürlich den Polen nicht, die alle Oberschlesier in Deutschland automatisch zur polnischen Minderheit rechnen.

Fraglos darf man die Forderungen der Oberschlesier nach kultureller Autonomie m heutigen Europa nicht einfach zu den Akten legen, sondern muß ihnen wie auch den anderen Regionen das Recht auf Selbstbestimmung zugestehen.
Mit dieser engagierten und ansprechenden Broschüre haben sie einen wichtigen Schritt zur Aufklärung der bundesdeutschen Öffentlichkeit getan, die dieses Problem aus Unkenntnis oder falsch verstandener politischer Rücksichtnahme verdrängt hat.

Klaus Steinke

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